Zukunft des Bauens - Im Interview mit Martin Pietzonka

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Martin Pietzonka ist seit 2019 für Drees & Sommer tätig. Er leitet die Innovation Services am Startup Hub Berlin und verantwortet dort neben dessen Weiterentwicklung auch das Innovationsmanagement, das Scouting und die Zusammenarbeit mit Startups und Grownups. Zusätzlich unterstützt er im Rahmen seiner Arbeit bei der konkreten Umsetzung von Digitalisierungs- und Strategieprojekten.

Der studierte Diplomkaufmann hat während seiner beruflichen Laufbahn als Technologie-Consultant über 100 Startups aller Branchen bei der Entwicklung ihrer Geschäftsmodelle, Businesspläne, Strategien und der Venture Capital-Finanzierung beraten und war zudem Managing Director eines Cross-Industry Innovationsnetzwerks mit Themenfokus "Connected Life".

Vor welchen Herausforderungen stehen Sie und Ihre KollegInnen bei der täglichen Arbeit? 

Ich denke nicht gern in Herausforderungen, sondern in Chancen. Durch die zunehmenden Möglichkeiten, die die Digitalisierung und Technologien bieten, ergeben sich viele Potenziale zur Beseitigung von Ineffizienzen in der Bau- und Immobilienwirtschaft und zur Generierung neuer digitaler Produkte, Services und Geschäftsmodelle.

Meine Aufgabe ist es unter anderem, die vielen wertvollen Partner zu finden, die tiefes technologisches Wissen mitbringen und mit denen wir gemeinsam daran arbeiten können, die Chancen aktiv zu nutzen. Häufig sind das Startups, PropTechs und ConTechs, mit denen wir in Kooperation und Projekte gehen, um die Stärken beider Seiten zu nutzen – ganz nach unserem Credo „Ökosystem statt Silodenken“: Unser Marktzugang und das tiefe Wissen unserer Experten, kombiniert mit dem technologischen Knowhow der Startups, ist ein perfektes Match.

Wichtig ist bei der Kooperation, dass man sich auf Augenhöhe begegnet, gezielt und strukturiert vorgeht und jemand den Kooperationsprozess aktiv managt. Hier sehe ich mich als Brückenbauer, der zwischen beiden Seiten moderiert, ein klares Setting vorgibt und den Prozess der Kooperation vom Scouting und der Anbahnung bis zur Umsetzung von Projekten und der Evaluation begleitet.

Welche Trends setzen sich in der Bau- bzw. Immobilienbranche Ihrer Meinung nach durch?

Es gibt vor allem einen hohen Kostendruck und den Bedarf an nachhaltigem Bauen und Betreiben von Immobilien: Deshalb bin ich sicher, dass das kreislauffähige, digitale, modulare Bauen einen weiteren Schub erfährt. Ebenso denke ich, dass vor allem auch die Revitalisierung im Bestand einen großen Hebel hat, sowohl die drängenden Probleme zu lösen als auch zu Nachhaltigkeit beizutragen.

Außerdem werden natürlich weiterhin Technologietrends den Markt beeinflussen, Ineffizienzen lösen und zur Schaffung neuer Produkte und Services beitragen. Beispielsweise bieten Themen wie KI, IoT, Data Analytics, Blockchain, Plattformökonomie, aber auch 3D-Druck Robotics ein großes Potenzial in allen Phasen des Bau- und Immobilienlebenszyklus. Es gibt nahezu keine Technologie, die nicht Potenziale auch für unsere Branche bietet. Auf die sinnvolle Umsetzung von Use-Cases kommt es nun an.

In unseren „10 Zukunftsthesen für die Bau- und Immobilienwirtschaft 2030“ kann man sich ein sehr gutes Bild über Trends in unterschiedlichen Bereichen machen und ich freue mich natürlich auf die Diskussion dazu, wie die Leser die Zukunft einschätzen.

Was unterscheidet ein Bauprojekt in 15 Jahren von einem Projekt heute (Stand 2022)? 

In den Bauprojekten der Zukunft ist ein Nachhaltigkeitskonzept Pflicht. Gleichermaßen wird digital geplant und um Bauzeiten zu reduzieren, werden Bauteile entsprechend der digitalen Planung bereits vorgefertigt oder entsprechend dem Ansatz der Kreislaufwirtschaft wiederverwendet. Genehmigungsverfahren sind weiter automatisiert und somit viel schlanker.

Der Fachkräftemangel am Bau belastet nach wie vor die Bauwirtschaft. Wie kann einem Fachkräftemangel entgegengewirkt werden?

Zuerst sehe ich Chancen durch Automatisierung. Um vorhandene Ressourcen optimal zu nutzen, bringt eine Analyse der Prozesse schnelle Ergebnisse: Welche Schritte lassen sich automatisieren, vereinfachen oder ersetzen? Insbesondere wiederkehrende Routineaufgaben können mittlerweile häufig automatisiert werden. So bleibt den Fachkräften mehr Zeit für die Bereiche, in denen es auf ihr menschliches Wissen, ihre Kreativität und ihr Können ankommt. Das stetige Verrichten von einfachen Routineaufgaben birgt zudem die Gefahr einer Unterforderung oder Überlastung.

Zum zweiten sollten Unternehmen die Weiterbildung weiter gezielt fördern und durch Kampagnen, auch schon in frühen Phasen – in Schulen und Hochschulen – zeigen, welche Bandbreite und Abwechslung Jobs in der Bau- und Immobilienbranche bieten. Gerade durch die zunehmenden technologischen und digitalen Möglichkeiten eröffnen sich hier ganz neue Jobprofile und Betätigungsmöglichkeiten, die gute und spannende Entwicklungsperspektiven bieten.

Können moderne Arbeitsmethoden wie z.B. LEAN Construction helfen Abläufe zu verbessern?

Definitiv. Das LEAN Construction Management (LCM©) ist vor allem in großen, anspruchsvollen Projekten mit vielen unterschiedlichen Projektbeteiligten, steigendem Zeit- und Kostendruck und einem wachsenden Anspruch an Sicherheit und Nachhaltigkeit unumgänglich. Insbesondere Hochbau- und Infrastrukturprojekte werden immer komplexer. Die Lean-Experten teilen ein Gebäude in Bereiche mit gleichem Arbeitsaufwand ein. Richtig hintereinander aufgereiht durchfahren die einzelnen Züge bestehend aus den einzelnen Gewerken das Gebäude im Takt, bis es fertig ist. Ohne Leerläufe oder Verzögerungen. Das Ergebnis ist ein ruhiger, gleichmäßiger und zügiger Bauablauf ohne Kapazitätsengpässe. Damit die Arbeiten stabil ablaufen, bedarf es einer sorgfältigen Planung.
Die darf gerade am Anfang kreativ und flexibel sein. Beispielsweise setzen wir hier auch Agiles Design Management ein, um zahlreiche Hindernisse des Arbeits- und Projektalltags zu überwinden. Die Planungsmethode hat ihren Ursprung in der Softwareentwicklung. Im Vordergrund stehen die Menschen, die mit wenigen Regeln fach- und teamübergreifend eng zusammenarbeiten.

Auch in diesem Bereich nutzen wir die Chancen der Digitalisierung und von Technologie: Baustellen ersticken immer öfter an einer Informationsflut, da die Komplexität von Planungsabläufen und Terminplänen immer schwerer zu bewältigen ist. Die Herausforderung: in Echtzeit Transparenz schaffen, Informationen filtern sowie zielgerichtet aufbereiten und zur rechten Zeit an die richtige Stelle bringen. Die Software LCM Digital digitalisiert hierfür bewährte Ansätze und bringt das Lean Construction Management in die Cloud. Wir glauben, dass digitale, transparente und kollaborativ gesteuerte Prozesse die Zukunft sind.

Warum tut sich Deutschland bei der Einführung von BIM so schwer? Wird mit der jungen Generation BIM auf der Baustelle einen flächendeckenden Einsatz finden?

Aufgrund der Struktur der am Bau beteiligten Unternehmen, ist die digitale Transformation in unserer Branche vergleichsweise rigide: Viele Firmen sind meist inhabergeführt und haben oft weniger als zehn Mitarbeiter. Für sie stellt es laut Studien eine große finanzielle Hürde dar, eine Person zum Einarbeiten in BIM-Anwendungen abzustellen und zusätzlich in Hard- und Software zu investieren. Außerdem ist vielen Beteiligten häufig noch nicht klar, welchen Mehrwert BIM bringt, so dass die Motivation für die Einführung und Veränderung gering ist.

Die Anforderungen an Gebäude steigen aber zunehmend. Zugleich bieten sich immer mehr technologische Möglichkeiten. Für sämtliche Aufgaben und Leistungsphasen eröffnet die digitale Planung, wie sie das Building Information Modeling erlaubt, Chancen. Die Methode basiert auf einem objektorientierten 3D-Modell, auf das sämtliche Planungs- und Baupartner Zugriff haben. BIM bildet hier erforderliche Verfahren und Prozesse digital ab und kann so dazu beitragen, Qualitäts-, Kosten- und Terminrisiken zu reduzieren. Das ist ein vollkommen neues Level von digitaler Planung, Bauprojektmanagement und des Betriebs von Gebäuden.

Ich bin von den Mehrwerten mehr als überzeugt und davon, dass der flächendeckende Einsatz zunehmend umgesetzt wird.

Bedeutet Nachhaltigkeit bei Bau- und Immobilienprojekten gleich automatisch teurer? 

Die Bau- und Immobilienbranche gehört zu den Branchen mit dem niedrigsten Digitalisierungsgrad, gleichzeitig aber auch zu den größten CO2-Erzeugern. Mit dem Einsatz von Technologien können wie skizziert bei Neu-, aber vor allem auch bei Bestandsbauten sowohl wirtschaftliche Potenziale generiert und Renditen gesteigert, gleichzeitig durch Effizienzgewinne aber auch wesentliche Beiträge zu Klimaschutz und Nachhaltigkeit geleistet werden. Ökonomie, Funktionalität und Prozessqualität können in Einklang gebracht werden mit Ökologie, Architektur und Wohlfühlfaktoren. Das ist aus meiner Sicht kein Widerspruch, sondern bedingt sich einander.

Startups kommt in diesem Kontext eine besondere Rolle zu, denn sie kreieren innovative und unkonventionelle Ideen und Geschäftsmodelle jenseits des Althergebrachten und sind wichtige Impulsgeber und Kooperationspartner für die Branche.

Abseits der Digitalisierung: Welche Trends sollte jeder, der sich in der Bau- und Immobilienbranche bewegt, kennen und beschäftigen?

Aktuell beobachten wir den Anstieg der Preise für viele Baumaterialien. Dämmstoffe, Stahl, Holz – alles wird teurer und Ressourcen sind endlich. Entsprechend steigen auch die Baupreise und drohen, viele Projekt unwirtschaftlich werden zu lassen. Langfristig kann nur eine verbesserte Projektplanung mit mehr Fokus auf Wiederverwertbarkeit helfen, denn Kreislaufwirtschaft und Ressourcenschutz und -effizienz beginnen, meiner Meinung nach, bereits in der Planungsphase. Wenn ganze Gebäude, Gebäudeteile und Baumaterialien recycelbar sind oder eine Anschlussverwendung finden, senkt das nicht nur den Materialbedarf, sondern trägt gleichzeitig auch zu mehr Nachhaltigkeit bei.

Plattformen wie Madaster, das digitale Kataster für Materialien, tragen zu dieser sinnvollen Entwicklung bei. Auf der Madaster-Online-Plattform werden Gebäude registriert, einschließlich der Materialien und Produkte, die sich in ihnen befinden. Die Madaster-Plattform bietet Immobilieneigentümern und anderen Stakeholdern die Möglichkeit, Daten ihrer Immobilien zu speichern, zu verwalten, anzureichern und auszutauschen. Dies erleichtert die Wiederverwendung, fördert intelligentes Design und eliminiert Abfall. Gebäude werden zu Rohstoffbanken.

Cradle to Cradle und Kreislaufwirtschaft sind wichtige Themen, mit denen man sich beschäftigen sollte.

Des Weiteren finde ich die Themen ganzheitliche Quartiersentwicklung, Coliving, Coworking und Sharing Economy sehr spannend und es gibt natürlich unzählige weitere Trends abseits der Digitalisierung oder mit direkten Bezug, die die Bau- und Immobilienwirtschaft zukünftig beeinflussen und prägen werden.

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Die Baubranche befindet sich im Wandel. Noch sind viele Bereiche analog, ineffizient, veraltet oder nicht nachhaltig. Es gibt jedoch viel frischen Wind und es bewegt sich etwas - langsam aber sicher.

Doch wie sieht die Baubranche und das Bauen der Zukunft konkret aus? Welche Ansätze und Lösungen gibt es oder wird es geben? Woran wird geforscht und gearbeitet?

Im Rahmen der Interview-Serie “Zukunft des Bauens” werden spannende Persönlichkeiten aus der Bau- und Immobilienbranche vorgestellt und wichtige Fragen zum nachhaltigen Bauen, Baustoffe der Zukunft, Ressourcenreduzierung, Rückführung von Baustoffen, Digitalisierung auf der Baustelle, Trends, Technologien, Innovationen, (Neue) Arbeitsmethoden auf dem Bau, Konzepte/Planung zum Leben und Arbeiten in der Zukunft gestellt.

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